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Ist der Klimawandel angekommen?

10. August 2011

In diesem verregneten Sommer in Deutschland reden wenige über den Klimawandel. Auch Klimaforscher halten sich mit emotionalen Appellen zurück. Folgt der Aufregung der letzten Jahre jetzt mehr Sachlichkeit in der Debatte?

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Ein Mensch im Regen (Foto: Fotolia/ Fotocreo)
Bild: dapd

Der Deutsche Wetterdienst (DWD) ist Deutschlands staatliche Wetterbehörde mit Sitz im hessischen Offenbach. Von hier bekommt die Bevölkerung neben der amtlichen Wettervorhersage auch Analysen zur Entwicklung der klimatischen Bedingungen der letzten 130 Jahre.

Wetterberichte beschreiben den Ist-Zustand oder prognostizieren den Zustand der Atmosphäre in den kommenden Tagen. Ein bestimmtes Klima dagegen beschreibt die Gesamtheit der möglichen Wetter an einem Ort über einen sehr langen Zeitraum. Viele Meteorologen sind zugleich Klimaforscher und machen gerne Aussagen zu Trends beim Klima und zum Schutz desselben.

Auch der Präsident des Deutschen Wetterdienstes, Gerhard Adrian, eröffnete seine Bilanz des Wetterjahres 2010 und der ersten Jahreshälfte 2011 in Berlin jüngst mit mahnenden Worten zur Klima-Entwicklung: "Das Jahr 2010 war kein gutes Jahr für den Klimaschutz. Die Menschheit hat fast 31 Milliarden Tonnen Kohlendioxid emittiert - ein trauriger Rekord." Durch den Klimawandel werde es - global gesehen - wärmer. Daran ändere auch ein kühleres Jahr in Deutschland nichts, so Adrian. Denn schließlich mache Deutschland nur ein Bruchteil der Erdoberfläche aus.

Infografik Temperaturentwicklung in Deutschland (Grafik: DW)

Zwischenstand: 1,1 Grad wärmer in Deutschland

Langfristig betrachtet sei die Erwärmung durch den Klimawandel in Deutschland bereits bezifferbar, sagt Diplom-Meteorologe Sven Plöger, einer der bekanntesten Wettermoderatoren im deutschen Fernsehen: "Wir haben in den letzten 100 Jahren erlebt, dass es in Deutschland um ungefähr 1,1 Grad wärmer geworden ist." Das sei im ersten Moment betrachtet gar nicht so viel, sagt Plöger. "Wenn man den Wert aber damit vergleicht, dass es global seit der letzten Eiszeit gerade mal viereinhalb Grad wärmer geworden ist, dann wird deutlich, dass die Geschwindigkeit der Erwärmung sehr hoch ist."

Der Deutsche Wetterdienst bestätigte diesen Trend bei seiner Pressekonferenz beispielhaft am Rückblick auf den Frühlingsmonat April 2011. "Der Monat war extrem warm, sonnenscheinreich und trocken, wie schon zwei Mal zuvor in den vergangenen fünf Jahren", sagt DWD-Klimaanalytiker Gerhard Müller-Westermeier. "Die Mitteltemperatur für Deutschland lag damit um enorme 4,2 Grad über dem Durchschnitt."

Kritiker bezweifeln, dass diese Erwärmung vom Menschen gemacht ist und verweisen auf historische Quellen, wonach es im Mittelalter - also in einem Zeitalter ohne industrielle CO2-Emmissionen - schon einmal viel wärmer war. Klimatologen können den Klimawandel nicht beweisen oder sagen, wie wahrscheinlich er eintreten könnte. Ihre Arbeit basiert auf computerberechneten Szenarien vieler verschiedener Einflussfaktoren und spiegelt damit wieder, was die Wissenschaft weiß, aber eben auch noch nicht weiß.

Meteorologe Sven Plöger (Foto: dpa)
Meteorologe Sven Plöger wünscht sich mehr Sachlichkeit in der KlimadebatteBild: picture-alliance

"Unser gesamtes Erdsystem ist ein so komplexes Gefüge, dass wir, und das müssen wir auch mal zugeben, noch nicht annähernd in der Lage sind, alle Zusammenhänge überhaupt auch nur zu verstehen", sagt Sven Plöger. Auf der anderen Seite seien bestimmte Zusammenhänge wissenschaftlich bereits plausibel nachgewiesen: "Das ist die Wirkung von Treibhausgasen und das CO2."

Wichtiges System: Azorenhochs und Islandtiefs

Das Wetter in Deutschland wird wesentlich von der sogenannten Nordatlantischen Oszillation (Nao) bestimmt - dem dynamischen System von Hochdruckgebieten über den Azoreninseln und Tiefdruckgebieten über Island. Sind beide Gebiete stark ausgeprägt, dann gibt es viel West-Wind zwischen Rhein und Spree und einen milden Winter. Sind die Luftdruckgegensätze geringer, hat dies einen kalten und trockenen Winter zur Folge - der Wind weht dann aus nördlichen oder östlichen Richtungen (siehe Grafik).

In den letzten Jahren sei dies häufiger der Fall gewesen, hat Sven Plöger beobachtet und merkt an: "Die Fragestellung für den Klimaforscher ist nun: Ist die nordatlantische Oszillation wegen des Klimawandels negativ oder hat die einfach nur mal Lust dazu?" Bei der Antwort helfe ein Blick in historische Wetteraufzeichnungen. Danach sei "die nordatlantische Oszillation immer schon und zwar episodisch geschwankt".

Infografik die Nordatlantische Oszillation (Grafik: DW)

Messbare Folge dieser Schwankung: Das Frühjahr 2010 war viel zu trocken, worunter besonders die Landwirte leiden, deren Ernte ziemlich schlecht ausfallen dürfte. Kleinere Kartoffeln und teuere Brötchen beschäftigen die Gemüter stärker als das Klima in 50 Jahren. Und weil Klimaschützer dies für menschliche Kurzsichtigkeit halten, greifen sie manchmal zu extremen Aussagen und wollen mit emotionalen Schlagzeilen die Menschen erreichen. Wettermann Plöger - wie einige andere auch - kritisiert diesen übertriebenen Alarmismus. Dadurch liefe die Klima-Diskussion Gefahr, sich abzunutzen.

Klimawandel: keine Patentlösungen

Ein aktueller Erfolg der Klimaschützer ist, dass viele Großstädte das Thema auf ihre Agenda gesetzt haben. Berlin zum Beispiel verabschiedete vor kurzem einen Klimaschutzplan und will nun andere Straßenbäume pflanzen, für mehr Grün an Häuserwänden sorgen und Kaltluftschneisen durch die Stadt schlagen.

Klimaforscher Hans von Storch (Foto: Michael Steinhauser)
Hans von Storch: Die Wissenschaft sollte der Politik keine Vorschriften machenBild: KlimaCampus

Was aber passiert, wenn diese Kaltluftschneisen im Winter bei sibirischem Ostwind zu Eiswindschneisen werden und die Wohnungen zusätzlich auskühlen? Der renommierte Klimaforscher Hans von Storch sieht die Aufgabe kluger Politik darin, mit dieser Ambivalenz transparent umzugehen, verschiedene Szenarien aufzuzeigen, unterschiedliche Handlungsoptionen demokratisch zu diskutieren und sich dabei von den Werten der Gesellschaft leiten zu lassen. "Wollen wir mehr Windenergie haben oder nicht, das ist eine politische Frage", sagt von Storch. "Wir sollten uns da nicht entmündigen lassen, indem wir die Wissenschaft fragen, sagt uns doch mal, was wir tun sollen."

Autor: Kay-Alexander Scholz
Redaktion: Fabian Schmidt